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DIAMANTE MURALES 40

Interview mit Antonino Perrotta über Diamante Murales 40:

Ich denke, dass die Figur des urbanen Kurators für die Synthese dieser Projekte wesentlich ist. Es handelt sich um eine Berufsgruppe, die immer noch nicht anerkannt und nicht vollständig ausgebildet ist, weil wir es mit einer neuen Form der Kunst zu tun haben, die sich in den Städten auf der ganzen Welt zunehmend etabliert und sich ständig weiterentwickelt.

‚Camouflage 87023‘ by UNO I Diamante, 2021

Antonino, du bist nicht nur als Street Artist aktiv, sondern auch als künstlerischer Leiter und Gründer des Festivals OSA – Operazione Street Art, das zusammen mit den Organisationen Gulìa Urbana und Manufactory Project für die künstlerische Leitung von Diamante Murales 40 verantwortlich ist, einem Festival, das den vierzigsten Jahrestag der ersten „Operation Murales“ in der kalabrischen Küstenstadt Diamante feiert. Was kannst du uns über dich, deinen Werdegang und deine verschiedenen Tätigkeitsfelder als Künstler und künstlerischer Leiter erzählen?

Ich hatte die Gelegenheit und das Glück, sowohl der Künstler als auch der Kurator eines städtischen Projekts zu sein. In den letzten vier Jahren stand ich durch OSA – Operazione Street Art in direktem Kontakt mit den Menschen, die dort leben, wo wir arbeiten, und mit den Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Interventionen beisteuern. Ich denke, dass die Figur des urbanen Kurators für die Synthese dieser Projekte wesentlich ist. Es handelt sich um eine Berufsgruppe, die immer noch nicht anerkannt und nicht vollständig ausgebildet ist, weil wir es mit einer neuen Form der Kunst zu tun haben, die sich in den Städten auf der ganzen Welt zunehmend etabliert und sich ständig weiterentwickelt. Die Erfahrungen, die man in diesem Bereich sammelt, sind sehr wichtig. Ich denke, als KünstlerIn erwirbt man mehr Bewusstsein und Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse anderer KünstlerInnen, was für den Erfolg eines Projekts unerlässlich ist.

Diamond I Diamante, 2017

OSA – Operazione Street Art ist das Festival, das 2017 in Diamante ins Leben gerufen wurde, um das 1981 von dem Künstler Nani Razetti begonnene Projekt zur Erhaltung und Aufwertung des muralistischen Erbes des Dorfes fortzuführen. Wie begann die Geschichte, die Diamante im Laufe der Zeit zu einem der meistbemalten Dörfer Italiens mit über 330 Wandmalereien gemacht hat? Wie kam es vor vierzig Jahren dazu, dass urbane Kunst als Mittel zur Wiederbelebung des Ortes gewählt wurde? Eine für diese Zeit ziemlich visionäre und innovative Entscheidung.

Diamante muss Nani Razetti danken. Ihm ist es zu verdanken, dass 1981 insgesamt 84 Malerinnen und Maler aus der ganzen Welt nach Diamante kamen und das größte und innovativste urbane Kunstprojekt Italiens ins Leben riefen. Für die damalige Zeit war es ein avantgardistisches Projekt, eine Zeit, in der man sich die Zukunft und die Entwicklung dieser Bewegung, die heute viele Städte in Italien umfasst, nicht einmal vorstellen konnte.

Vielleicht wurde Nani von dem Phänomen inspiriert, das in den 1980er Jahren ganz Süditalien prägte, nämlich die kontinuierliche Entvölkerung unserer Kleinstädte. Es war, als würde ein wachsender Baum seine schönsten Äste verlieren, die, die dann zur Entstehung und Ernte von Früchten führen würden. Und während die Situation im Süden immer offensichtlicher wurde, hatte Nani Razetti eine Vision: Warum nicht Diamante zur “Stadt der umgedrehten Nasen” machen, zu einem Freilichtmuseum? So wurde die „Stadt der Murals“ geboren. Und für die kleine Stadt Diamante war es die Gelegenheit, einen Kulturtourismus aufzubauen, der sie im Laufe der Jahre zu einem der beliebtesten Reiseziele in Süditalien machte.

Il Gigante I Diamante, 1981

Kadmon I Diamante, 1981

Du selbst bist Diamantese. Wie können sich Menschen, die noch nicht dort waren, den Ort Diamante, „das Land der umgedrehten Nasen“, vorstellen?

Wer es sich vorstellt, aber noch nie dort war, dem würde sicher der Mund offen stehen, wenn er es erlebt. Deshalb empfehle ich jedem, nach Diamante zu kommen und es persönlich zu erkunden.

Das Ziel von Diamante Murales 40 ist es, die Gegenwart zu überwinden, um durch Austausch und Zusammenarbeit jede Art von Grenze zu überschreiten, sowohl geografische, als auch vor allem mentale und tief verwurzelte Vorurteile, um der Welt jene künstlerische und kulturelle Schönheit zu geben, an der es oft mangelt. Wie verfolgst du dieses Ziel konkret, und wie kommt ein aktiver Austausch zustande?

Durch Zusammenarbeit, Ideenaustausch und Hingabe können unvorstellbare Ziele erreicht werden. In diesem Jahr haben wir uns auf die Zusammenarbeit mit Gulìa Urbana verlassen, einem Festival, das seit zehn Jahren in Kalabrien und außerhalb der Region tätig ist und unserer Region Internationalität verliehen hat, indem es Dutzende internationaler Künstlerinnen und Künstler mitgebracht hat, sowie auf die Zusammenarbeit mit Manufactory Project, einem Festival, das in der Stadt Comacchio in der Provinz Ferrara stattfindet.

Der aktive Austausch findet statt, indem wir ein Team bilden, füreinander arbeiten, wenn nötig die Rollen tauschen und mit Bescheidenheit an die Sache ran gehen.

SteReal I Diamante, 2021

Wenn du auf die vergangenen Ausgaben des Festivals zurückblickst, was waren deine Highlights, und was können die Besucher dieses Jahr erwarten? 

Ich denke zurück an den Anfang, an die Entstehung. Es war ein Wagnis, Street Art und zeitgenössische Kunst in eine Stadt wie Diamante zu bringen, in der es bereits ein Projekt mit einer Identität gab, und es ist kein Zufall, dass der Name OSA von dem italienischen Wort „osare“ kommt, was „wagen“ bedeutet. Ich denke, dass diejenigen, die uns über die Jahre hinweg verfolgt haben, die Entwicklung bemerkt haben und dieses Jahr sicherlich einen Grund mehr haben, zu kommen und die neuen Interventionen zu sehen, die den 2017 begonnenen Weg vervollständigen.

Tony Gallo I Diamante, 2021

Für die aktuelle Ausgabe des Festivals habt ihr Künstler wie Tony Gallo, Kraser, SteReal und Jorit eingeladen. Nach welchen Kriterien wurden die teilnehmenden Künstler ausgewählt? 

Die Auswahl war das Ergebnis einer Diskussion zwischen den drei künstlerischen Leitern (Giacomo Marinaro, Riccardo Buonafede und mir). Es war ein konstruktives Gespräch, das zur Auswahl der Künstlerinnen und Künstler führte, wobei die Stile mit den verfügbaren Flächen abgestimmt wurden. Das Mural ist das Ergebnis monatelanger bzw. jahrelanger Studien.

Gab es Vorgaben für die künstlerische Gestaltung oder die Botschaft der Werke, waren die Künstler bei der Wahl der Motive völlig frei?

Wir haben den KünstlerInnen völlige Freiheit gelassen. Wir wissen, dass zeitgenössische KünstlerInnen wiedererkennbare Stile und Sprachen entwickeln und sich mit bestimmten Themen beschäftigen, die ihre Kunst widerspiegelt. Mit der Wahl des Künstlers wählt man automatisch ein Thema.

Jorit I Diamante, 2021

Das Ziel des Festivals ist nicht nur, neue Werke zu schaffen, sondern auch wichtige Werke aus dem Jahr 1981 zu bewahren und zu restaurieren. Was sind das für Werke? Was sind die Herausforderungen bei der Restaurierung urbaner Kunst? 

Dieses Jahr haben wir zwei Werke von zwei wichtigen Künstlern, Ibrahim KODRA und Eva KUMP, aus dem Jahr 1981 restauriert, die zu verschwinden drohten. Urbane Kunst wird mit dem Wissen geboren, dass sie in kurzer Zeit verschwinden wird. Diese beiden Werke waren jedoch, wie so viele andere, auch nach vierzig Jahren noch teilweise sichtbar. 1981 hätte sich vielleicht niemand vorstellen können, dass diese Werke nach vierzig Jahren und in einer Stadt am Meer überleben würden. Es wäre schön, sie alle restaurieren zu können, aber eine solche Aktion wäre mit enormen Kosten verbunden und würde so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass sie nur durch eine mögliche Intervention des Ministeriums für kulturelles Erbe unterstützt werden könnte, wenn dieses Interesse zeigen würde. Obwohl so viele Jahre vergangen sind und so viele bedeutende Künstlerinnen und Künstler beteiligt waren, wird das künstlerische Erbe von Diamante immer noch von keiner übergemeindlichen Stelle in Kalabrien anerkannt. 

Restoration of KODRA’s work

KODRA’s work after the restoration

Diamante Murales 40 erstreckt sich über einen langen Zeitraum, von Juni bis Dezember dieses Jahres. Wie sieht es hinter den Kulissen einer so großen Veranstaltung aus? Abgesehen von der dreiteiligen Leitung, wie viele Leute sind daran beteiligt und wie läuft die Planung und Organisation ab?

Ich würde auch die Monate der Planung hinzuzählen. Eine Veranstaltung dieser Größe braucht zwei Drittel mehr Vorbereitung und Planung als die Dauer der Veranstaltung. Offiziell haben wir im Juni begonnen, aber wir arbeiten schon seit Monaten und Jahren an der Veranstaltung und haben vielleicht davon geträumt, bestimmte Künstler zusammenzubringen oder bestimmte Oberflächen zu verwenden. Es gibt vier grundlegende Aspekte, die perfekt organisiert werden müssen:

– Die Logistik, die alles betrifft, was mit der Durchführung der Arbeit zu tun hat, von der Festlegung der Termine über den Einsatz bestimmter Mittel und Materialien bis hin zur Bürokratie und den notwendigen Genehmigungen.

– Die Kommunikation, die unerlässlich ist, um ein Ereignis dieser Größenordnung bekannt zu machen und zu entdecken. Um diesen Aspekt haben sich die beiden Festivals OSA und Gulìa Urbana und ihre Pressestellen direkt gekümmert.

– Die Betreuung der Künstlerinnen und Künstler und damit auch ihre Unterbringung und Verpflegung, von der der Erfolg der Veranstaltung abhängt. Der Künstler muss die Veranstaltung unbeschwert erleben.

Letztendlich bilden wir eine Gruppe und schaffen Begeisterung unter den Menschen, also auch unter den Besuchern.

Riccardo Buonafede I Diamante, 2021

Wo siehst du das Festival in den nächsten Jahren? Was sind deine Ideen, Pläne und Träume?

OSA – Operazione Street Art ist im Laufe der Jahre auf Wanderschaft gegangen und hatte die Gelegenheit, in mehreren Städten Kalabriens und Süditaliens seine Spuren zu hinterlassen: Diamante, Santa Maria del Cedro, Fuscaldo, San Nicola Arcella und Vietri di Potenza (Basilikata); sowie wichtige Kooperationen mit anderen Festivals einzugehen, wie z.B. dem Manufactory Project in Comacchio oder Gulìa Urbana, einem weiteren Festival, das in Kalabrien entstanden ist. Mein größter Traum war es immer, etwas zu verwirklichen, das Kalabrien, mein Land, aufwertet, und, dass ich mich hier verwirklichen kann, ohne weggehen zu müssen, ohne unbedingt an andere Orte auszuwandern. Meinen größten Traum, nämlich „zu bleiben“, habe ich bereits verwirklicht.

Kraser I Diamante, 2021

Antonino Perrotta aka Attorrep

Diamante, Italy

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Bilder © OSA Operazione Street Art

 

September 2021

by Laura Vetter